330 GT Registry

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Ferrari baut als einziger Hersteller der Welt Einsitzer (Formel 1), Zweisitzer (Sportwagen) und Viersitzer (2+2-Coupés). Die vier Sitze schaffen noch mehr Platz für die Geister jener Passagiere, die in jedem Ferrari an Bord sind: Enzo Ferrari, Alberta Ascari, Niki Lauda und Gilles Villeneuve. Betrachtungen auf den Fondsitzen von Ferrari-Coupés aus drei Jahrzehnten.

 


Einfache Tacho-Rechnung: 300 km/h sind gleich 180 Meilen pro Stunde

 

Als Luxus noch aus Dreispeichen-Lenkrädern mit Holzkranz und Rundinstrumenten bestand

 

Die Doppelschein-
werfer galten
1964 als zu
avantgardistisch

Der symmetrisch
out gebaute Vierliter-
V12 wird von drei
Weber-Doppelvergasern gekrönt

 

Rechtzeitig für Weihnachten begann in Deutschland die Auslieferung des Ferrari 456 GT. Er wird noch viele kleine Kinder wie ein Christkind auf 17 Zoll-Felgen und Breitreifen (vorne 255/45 ZR 17, hinten 285/40 ZR 17) beglücken. Momentan leistet er an einem großen Kind Wiedergutmachung.

Ich war in den sechziger Jahren ein stilles und altkluges Kind und fand trotzdem keinen Vater mit einem Ferrari 330 GT 2+2. Ich war in den siebziger Jahren ein hübscher und eleganter Jüngling und fand trotzdem keine Freundin mit einem Ferrari 365 GT 2+2. Ich war in den achtziger Jahren ein schneller und sauberer Nachwuchs-Reporter und fand trotzdem keinen 400 i als Dienstwagen.

Erst für eine gute Sache, nämlich die MOTOR REVUE, öffneten sich die Türen des neuesten Ferrari wie Portale zu einem Märchen. Zum einmaligen Preis von 349 000 Mark, rund und ohne Pfennigbeträge hinterm Komma, bietet der 456 GT zwölfmal 456,19 Kubikzentimeter, nämlich 5473,9, 442 PS bei 6250/mm, 550 Nm maximales Drehmoment bei 4500/mm, laut Werk eine Beschleunigung von 5,6 Sekunden von null auf 100 km/h und eine Höchstgeschwindigkeit von 310 km/h, vier Sitzplätze, und den besten Rückblick auf die Ferrari-Legende der 2+2-Sitzer.

Im 456 GT mögen zwar die einen oder anderen Straßenkameraden während eines Überholvorgangs vorbeiwischen wie unscharfe Kulissen, aber der Ruckspiegel zeichnet konstant scharfe Konturen von seinen Vorgängern. Im linken Außenspiegel fahrt der 365 GT4
2+2/400i/412 mit, als wäre er aufgemalt. Im Innenruckspiegel läßt sich der 330 GT 2+2 nicht abschütteln.

Neben der Formel 1-Tradition, den Prototypen-Mythen, den GT-Berlinetta-Legenden steht die Addition 2+2 in der Ferrari-Geschichte für bürgerliche, ja eine familiäre Tradition.

Die Regeln im Transportgewerbe sind einfach. Vier Sitzplatze und entsprechender Kofferraum adeln das Automobil zum Nutzfahrzeug. Tm Sommer 1960 wurde diese rein ökonomische Funktion um jene zukunftsorientierte, visionäre Eigenschaft erweitert, die im ICE erst 30 Jahre später verwirklicht wurde — das Reisen mit Tempo 200.

Ferrari hatte für das 24- Stunden-Rennen von Le Mans ein Pace Car vom Typ 250 zur Verfügung gestellt, das zwar mit einem 240 PS starken Drei-liter-V12 motorisiert war, aber kein GT, kein Spider, kein Berlinetta war. Zwischen Fahrer-Beifahrersitz einerseits und Heckscheibe/Kofferraum andererseits hatten sich zwei zusätzliche Sitze in diesen 250 GT 2+2 gedrängelt.

Ferrari feierte mit dem Testarossa in Le Mans einen Doppelsieg und wertete dies als Zeichen des Renn- und Serien-gottes. Zum hemmungslosen Vergnügen aller hobbymäßigen Spediteure von Schwiegermütern, Kindern und handgemachtem Gepäck aus Lammnappa-Leder ging der erste viersitzige Ferrari 1961 in Produktion. Das 2+2 in der Typenbezeichnung entlarvte die kleinlichen und monotonen Argumente gegen die Anschaffung eines Ferrari endlich als Neid.

Zu unpraktisch: Gnädigste bringen im Kofferraum eine Golftasche, einen Picknick-Korb und den Champagner unter. Zu egoistisch, weil zu klein: Meine Liebe, wir haben auf den Fondsitzen jetzt Platz für deinen Schoßhund, dann Platz für deine und meine Schwiegermutter, und später passen auch noch unsere zwei zukünftigen Kinder rein. Zu laut: Hund, Schwiegermütter und Kinder werden lauter sein als jeder V12.

Diese Argumentation ist mit den Typen 250 GT 2+2, 330 GT 2+2, 365 GT 2+2, 365 GTC/4, 365 GT4 2+2 und 400 i immer starker geworden und erreicht im aktuellen 456 GT 2+2 einen neuen Höhepunkt.

Altes Leder, alte Motoren, alte Karosserien führen beim Fahren in eine imaginäre Zwischenzone der Zeit. Alte Vergaser, alte Lenkräder, alte Hinterachsen malen in der heutigen Zeit ein unscharfes Bild von gestern: Es könnte damals so gewesen sein. Beim Ferrari 330 GT war’s so, daß er zu seien Produktionszeiten soviel wie ein mittleres Einfamilienhaus gekostet haben soll. In der MOTOR REVUE 50/1964 ist sein Preis mit 54 850 Mark angegeben.

Das Gesicht mit zwei großen Doppelscheinwerfern und einem Kühlergrill, der seine verchromten Rippen nach oben und in die Breite fletscht, ähnelte damals zu sehr dem Lancia Flaminia Coupé von Touring, um als typischer Ferrari bejubelt zu werden. Nach 625 gebauten 330 GT mit Doppelscheinwerfern retuschierte Pininfarina 1965 die Front zu alter, klassischer Einzelscheinwerfer-Herrlichkeit.

28 Jahre später leuchtet aus den doppelten Marchal-Scheinwerfern Exotik, Charakter und Melancholie in doppelten Portionen. Was hatte Humphrey Bogart diesen Doppelscheinwerfern alles gesagt, damals, in Casablanca, wenn ihm nicht Ingrid Bergmann dazwischengekommen wäre.

Enzo Ferrari, der Zwölfzylinder-Macho, verpackte in den 330 GT sein schönstes Kompliment an Frau und Kind: Platz.
Der 300 PS starke Vierliter-Motor mit den drei Weber-Fallstrom-Doppelvergasern, der Laycock-de Normanville-Overdrive, die hintere Starrachse mit Blatt- und Schraubenfedern hielten Ferrari nicht davon ab, innen verschwenderisch mit Platz und Raum umzugehen.

Schon damals wurde erstaunt registriert, daß der 2+2 Talent zum Viersitzer hätte. Auch großen Kindern passen die Fondsitze wie ein salopp geschnittener Jogginganzug.

Der heutige Besitzer dieses 330 GT 2+2 rühmt weder Platz noch Kofferraum, die habe er schließlich auch im Golf Diesel. Nein, er feiert ihn ,,als den letzten der starken und leichten Ferrari, als einen PS-Boliden, der stark an den neuen Testarossa erinnert”. Seine 330 GT-Philosophie ,,Gas geben, dann geht’s nach vorne” wird durch die alten Meßwerte untermauert: Höchstgeschwindigkeit 240 km/h, Beschleunigung null bis 100 km/h in 6,9 Sekunden. Ein Leergewicht von 1380 Kilogramm grüßt auch nach fast 30 Jahren mit schwarzen Strichen am Asphalt.

Nur einen Wunsch konnte der familienfreundliche 330 GT seinem ferrariverrückten Besitzer noch nicht erfüllen: ,,Mein Traum wäre eine Anhangerkupplung, damit ich auch meinen Ferrari 195 Inter stilvoll zu Veteranenrennen schleppen kann.”

Der von 1972 bis 1989 unter insgesamt drei Typenbezeichnungen (365 GT4, 400i und 412) gebaute vorletzte Ferrari 2+2 hielt die Ehre der klassischen Gran Turismo-Coupés mit ihren drei Karosserieelementen Motorraum, Passagierraum, Kofferraum auch dann noch in hohen Ehren, als die aerodynamische Flutwelle selbst über den Luxusschlitten zusammenschwappte.

Inmitten der anderen geduckten und geschwungenen Ferrari-Raubtiere mit Mittelmotor wirkte er kantig und fremd, mit einem Wort: amerikanisch. Das Vorurteil kreiste solange um die serienmäßige Dreistufen-Automatik Turbo Hydra-Matic von General Motors und die mechanische Bosch K-Jetronic-Benzineinspritzung, bis der 412 eingestellt und vorn 2+2-sitzi- gen Mondial mit Mittelmotor ersetzt worden war.

Motor- und Innenraum des 400i korrespondieren in blinder Harmonie: Beide sind überladen. Aus dem 4,8 Liter-V12 mit 60 Grad Zylinderwinkel quellen Kabel, Leitungen, Bowdenzüge, Ölfilter, Lichtmaschine. Einfüllstutzen. Schläuche und 310 PS bei 6400/min. Innen wird Chrom und Leder mit königlicher Noblesse verschwendet. Der 400i hüllt seine Passagiere, auch die +2 auf den hinteren Schalensitzen, in eine Wolke, die vor Pracht dampft.

Es gab zwischen 1972 und 1989 ausschließlich sachliche Grunde für den 400i. Eine Servolenkung, die selbst passionierten 2 CV-Fahrer leichtgängig scheint (siehe MOTOR REVUE 1981/82). Eine Automatik, die das 1930 Kilogramm schwere Roß trotz drei Fahrstufen und trägem Wandler bei Tempo 240 kräftig nach vorne katapultiert und in der höchsten Stufe an den roten Bereich dreht.

Aus dem geometrisch edlen Pininfarina-Design haben sich aggressive Zuge geschalt. Der Kühlergrill spannt sich unterhalb des Stoßfängers und der Klappscheinwerfer über die gesamte Wagenbreite und kaschiert die Lichthupe, Lüfter und Kühler höchst nachlässig. Die vier Auspuffenden dehnen sich wie verchromte Duell-Kanonen von den Hinterrädern bis über die Stoßfänger hinaus.

Der 456 GT kann alles besser als seine Vorgänger. Er ist außen kürzer und innen großer, er ist schneller und leichter, er ist bequemer und sparsamer und so modern, daß er zeitlos wirkt. Die Ähnlichkeit zum Daytona wird eine Renaissance der Klassik einleiten. Der Daytona war als letzter Frontmotor-GT-Berlinetta ein überzeugter Zweisitzer. Der 456 GT ist als Frontmotor-Coupé ein überzeugender 2+2-Sitzer.

Die Zeiten werden teurer, aber ändern sie sich wirklich? Der 456 GT ist 295 000 Mark teurer als ein 330 GT vor 30 Jahren und kostet kein Einfamilienhaus mehr, sondern eine Wohnung.

Die 2+2-sitzigen Gran Turismo-Coupés ändern sich wirklich, aber Ferrari-Probleme wiederholen sich mit brutaler Regelmäßigkeit. 1959 hatte Enzo Ferrari seinen ersten 2+2-Sitzer in Auftrag gegeben, aber seinen Weitmeister Mike Hawthorne durch einen Verkehrsunfall verloren, die Formel 1 Weltmeisterschaft an die Mittelmotor-Cooper verloren, Le Mans verloren, die Targa Florio verloren. Und 1993 gelang es Ferrari sogar, noch weniger als 1959 zu gewinnen.

Mit dem 2+2-Coupé kam Ferrari damals in Schwung Von den 1961 gebauten 400 Stuck 250 GT entfielen 68 Prozent der Bestellungen auf da Familien-Transportmittel; Ferrari gewann die Formel 1-Weltmeisterschaft, die Targa Florio und Le Mans.

Deshalb geht der Transportauftrag der 2+2-Sitzer weit über den Ballast Mensch hinaus. Ferrari lassen sich mit viel mehr beladen, als es das Gesamtgewicht zuläßt, sofern es sich um Geschichte, Legenden und gute Omen handelt.

Autor: Eckhard Eybl; Fotos: H.D. Seufer

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